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Open Access und Geschichtswissenschaften — Notwendigkeit, Chancen, Probleme

Frei verfügbare Online-Publikationen sind in ihren beiden Spielarten (Retrodigitalisierungen bereits gedruckter Texte sowie genuin online publizierte Schriften) auch auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften auf dem Vormarsch, und das zu Recht. Plattformen, die ihre Inhalte sachlich erschlossen, durchsuchbar und langzeitarchiviert in Kooperation mit großen Bibliotheken anbieten, ermöglichen dem Nutzer einen beträchtlichen Mehrwert gegenüber dem gedruckten Buch und dem Autor eine stark verbesserte Sichtbarkeit und Rezeption seines Textes. Buchrezensionen etwa sind ein gerade in den Geisteswissenschaften unverzichtbares Instrument, das in ganz besonderem Maß vom Charakter der raschen, weltweiten Publikation nach dem Open-Access-Prinzip profitiert. Nichtsdestotrotz sehen sich international ausgerichtete OA-Plattformen wie etwa perspectivia.net, die Ende 2008 online gegangen ist und speziell auf die Geschichtswissenschaften ausgerichtet ist, mit Schwierigkeiten konfrontiert. Verlagsverhandlungen, Bildrechtsklärungen und Vergütungsfragen für die Autoren sind ob mangelnder internationaler Standardlösungen mit großer Zeitinvestition verbunden.


Zitiervorschlag
Lilian Landes, "Open Access und Geschichtswissenschaften — Notwendigkeit, Chancen, Probleme. ". LIBREAS. Library Ideas, 14 ().


Die Publikationsplattform perspectivia.net

Im Herbst 2008 ging mit perspectivia.net [link] eine Publikationsplattform online, die die Vorteile des Open-Access-Publizierens auch und gerade gezielt für die Geschichtswissenschaften nutzbar machen möchte. In erster Linie ist die Plattform als Veröffentlichungsort für die neun deutschen geisteswissenschaftlichen Institute im Ausland konzipiert, die seit 2002 unter dem Dach der Stiftung DGIA stehen. Sowohl renommierte wissenschaftliche Reihen der Institute, als auch neu konzipierte Projekte (von klassischen Monographien über Rezensionen bis hin zu Tagungsdokumentationen) werden hier kostenfrei und ohne Zugriffsbeschränkung einem weltweiten wissenschaftlichen Publikum zugänglich gemacht.

Die Resonanz der Institute auf die Gründungsinitiative, die von der Projektleiterin und gleichzeitig Direktorin des DHI Paris, Prof. Dr. Gudrun Gersmann, ausging, fiel sehr positiv aus, und so konnte die Plattform zum Start Ende Oktober 2008 bereits mit vielfältigem Inhalt aufwarten. Nicht nur, dass zu diesem Zeitpunkt die seit 1973 in bisher rund 70 Bänden im Thorbecke Verlag erscheinende Zeitschrift Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte vollständig (retro-)digitalisiert online stand, auch die Historischen Institute in Moskau und London, daneben auch die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG), sind von Anfang an mit Bulletins, Monographien, Rezensionen und Schriftenreihen dabei. Vordringliches Ziel ist eine deutlich verstärkte Visibilität der Forschungsleistungen, die an den Auslandsinstituten erbracht werden und denen ein stabiler Rahmen für Fachdiskussionen auf internationaler Ebene gegeben werden soll. Mittelfristig wird sich die Plattform schrittweise immer mehr auch renommierten Partnerinstitutionen der geisteswissenschaftlichen Auslandsinstitute öffnen, wie dies exemplarisch nun schon mit der SPSG geschehen ist. Genuin elektronisch auf perspectivia.net publizierte Texte stehen größtenteils unter einer Creative-Commons-Lizenz (Namensnennung – Keine kommerzielle Nutzung – Keine Bearbeitung CC-BY-NC-ND). Für retrodigitalisierte Inhalte werden einfache Nutzungsrechte bei den Rechteinhabern eingeholt, wobei die Bereitstellung meistens gemäß dem Moving-Wall-Prinzip mit einer zeitlichen Verzögerung erfolgt. Wie z.B. im Falle der Francia wird der Nutzer durch eine jederzeit im Fußbereich der Anzeige sichtbare Anmerkung auf die einschlägigen deutschen Urheberrechtsbestimmungen hingewiesen. Soweit in Kürze zum Grundkonzept der Plattform, die von der Stiftung DGIA getragen, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird und dem die Bayerische Staatsbibliothek München als Kooperationspartner intensiv verbunden ist.

Der Mehrwert des elektronischen Publizierens

Immer wieder wird den Geisteswissenschaften eine im Vergleich zu den Naturwissenschaften „völlig verschiedene Diskurspraxis“[Fn1] nachgesagt, die die Open-Access-Bereitstellung wissenschaftlicher Texte hier weniger notwendig erscheinen lasse als in den Naturwissenschaften. In erster Linie wird hierbei wohl auf den Maßstab fast tagesaktueller Informationshöhe in den Naturwissenschaften abgehoben, die einhergeht mit dem „Beobachten-Können“ neuester Erkenntnisse für die eigene aktuelle Forschungspraxis. Dies ist u.a. ein Grund für die stark dynamisierte und deutlich beschleunigte Publikationspraxis in den technisch-naturwissenschaftlichen Fächern. Im Prinzip ist dieser Einschätzung zuzustimmen, denn in den Geistes- und Sozialwissenschaften sind die Austauschwege von Forschungsergebnissen zweifellos langsamer angelegt. Zugleich aber besitzen diese zu einem guten Teil eine deutlich längere Halbwertzeit. Anders als in den Naturwissenschaften wird in den Geistes-, besonders in den Geschichtswissenschaften, deutlich mehr Wissen kumuliert als aktualisiert. Nicht zu übersehen ist aber, dass es auch in den Geisteswissenschaften Genres gibt, die auf schnelle und möglichst internationale, fachspezifische Sichtbarkeit angewiesen sind, gerade im Hinblick auf eine solcherart kritisch aufeinander Bezug nehmende Wissensakkumulation: Gemeint ist vor allem die Rezension.

Exemplarisch lässt sich der Fortschritt, den eine Plattform wie perspectivia.net in diesem Punkt bietet, wiederum am Beispiel der oben genannten Francia aufzeigen: Deren zahlreiche Rezensionen erschienen bislang innerhalb der nach Epochen gegliederten pro Jahr drei gedruckten Bände, so dass zur ohnehin unvermeidbaren Zeitspanne vom Erscheinen einer zu rezensierenden Publikation bis zur Fertigstellung der Rezension eine mitunter gut einjährige zusätzliche Wartezeit bis zum Druck derselben ins Land ging – eine nicht unübliche Frist für gedruckte Periodika. Mit dem Online-Gang von perspectivia.net erscheinen die Rezensionen nun ausschließlich online, in größtmöglicher Zeitnähe zum Erscheinen der zugrundeliegenden Publikation, was einen entscheidenden Vorteil nicht nur für den Autor des Werks, sondern besonders für die rezipierende Fachgemeinde bedeutet. Sichtbarkeit und unmittelbare Verfügbarkeit einer wissenschaftlichen Publikation – Kriterien, die für einen Geisteswissenschaftler nicht weniger notwendig sind als für den Physiker, Chemiker oder Maschinenbauer – werden durch das Online-Angebot eines Textes in signifikanter Weise erhöht.

Insbesondere dann, wenn ihre Inhalte verschlagwortet und klassifiziert an die OPAC-Systeme der großen Bibliotheken angeschlossen sind und ihr Volltext weltweit über die Suchmaschinen recherchierbar und zugänglich ist. Deutlich steigt so die Zitationshäufigkeit eines Textes an, die auch in den Geisteswissenschaften zum immer wichtiger werdenden Beurteilungskriterium etwa bei Einstellungs- und Berufungsverfahren wird, möglicherweise bald auch bei leistungsbezogener Vergütung. Konkret ist dies im Augenblick für die im Kontext der SPSG-Publikationen stehenden Beiträge der Kolloquien zur bevorstehenden dreihundertsten Wiederkehr des Geburtstags Friedrich II. von Preußen (Friedrich300) absehbar, deren hohe Zugriffszahlen schon wenige Monate nach ihrer Online-Stellung teilweise deutlich über der Auflagenhöhe eines gedrucktes Bandes liegen. Hier wird deutlich, wie mit der Beschleunigung des Publikationsverfahrens von geisteswissenschaftlichen Kolloquiumsbeiträgen zugleich auch die Rezeption dieser Ergebnisse immens gesteigert werden kann.

Lässt sich aber die von den Naturwissenschaften scheinbar „völlig verschiedene Diskurspraxis der Geisteswissenschaften“ (s.o.) nicht auch und vor allem konkret darin benennen, dass dort der – zumeist in der gemeinsamen Wissenschaftssprache Englisch – verfasste Aufsatz das hauptsächliche Medium fachlichen Austauschs ist, während hier nach wie vor Monographien (Dissertationen, Habilitationsschriften) die Pionierarbeit wissenschaftlichen Fortkommens bergen und selbst Aufsätze gemeinhin unter einem thematischen Dach gebündelt und verflochten, klassisch gedruckt als Sammelbände erscheinen? Ein in Englisch verfasster, auch am Bildschirm optisch gut verdaubarer (weil in seinem Umfang begrenzter) Aufsatz wird den Errungenschaften des Internets für die Wissenschaft, dem weltweiten, raschen Rezipiertwerden, immerhin weit einleuchtender gerecht als eine in deutscher Sprache verfasste Monographie, die mitunter mehrere hundert Seiten umfasst und deren Lektüre am Bildschirm Auge und Konzentration einige Anstrengung abverlangt.

Zwei Anmerkungen dazu: Das jeder wissenschaftlichen Unternehmung zugrundeliegende „Start-Ziel-Schema“ bietet im Bereich der Geisteswissenschaften in der Regel verschiedenartigste Ansatzpunkte für rezeptionsrelevante Querbezüge. Anders als in den Naturwissenschaften werden in der Geschichtswissenschaft Publikationen weniger in ihrer Gänze auf ein einzelnes, knapp benennbares Ergebnis hin rezipiert. Der größte Teil der auf eine Monographie aufbauenden Forschungen greift einzelne in solchen Abhandlungen explizierte Aspekte heraus, Teilergebnisse also, die oft Exkurse bedeuten. Da der Geisteswissenschaftler Monographien in der Regel nicht von vorn bis hinten liest, sondern Inhalte selektiert, kommt ihm die (durchsuchbare) Online-Verfüg- und Lesbarkeit von Texten in dieser Hinsicht gleichermaßen wie dem stärker aufsatzorientierten naturwissenschaftlichen Kollegen zugute. Darüber hinaus wird er über die Stichwortsuche auf Schriften aufmerksam, deren Bezug zur ihn umtreibenden Fragestellung er zuvor mitunter nicht vermutet hätte. An dieser Stelle wird zugleich einer der großen Vorteile des Open-Access-Verfahrens deutlich: Ohne rasche, barrierefreie Einsicht in den Volltext eines Suchergebnisses würde der unerwartet Fündige zu einem finanziellen Aufwand gezwungen, deren Nutzen er im entscheidenden Moment nicht einmal abschätzen kann - der Weg über die Bibliothek wäre hier die einzige Alternative – nur bedingt aber im Sinne der Mehrwertausschöpfung des Mediums Internet.

Im weiteren zeigt die Erfahrung mit der Plattform perspectivia.net, dass die Behauptung, kaum ein Nutzer lese eine Monographie am Bildschirm, so nicht zutrifft: Es gibt Länder, Wissenschafts-, Finanz- und Verlagsstrukturen, die eine hinreichende Versorgung der (traditionellen) Leserschaft mit gedruckten Büchern nicht leisten können. So stellte sich heraus, dass das Deutsche Historische Institut Moskau eine Plattform wie perspectivia.net gern annimmt, um Studierenden und Wissenschaftlern geschichtliche Grundlagenwerke in monographischer Form anzubieten, deren allzu kleine Auflage längst vergriffen, deren Inhalte aber weiterhin hochaktuell sind.

Schließlich ist für eine angemessene weltweite Sichtbarkeit eines geisteswissenschaftlichen Textes, der im Unterschied zu den Naturwissenschaften – wie angedeutet – mit weit weniger Selbstverständlichkeit in Englisch verfasst wird, die Einbettung in eine übergreifende Publikationsplattform in ganz besonderem Maß notwendig. Ebenso unabdingbar ist dabei die Sorge für ein gleichbleibend hohes Qualitätsniveau der präsentierten Texte und – vor allen Dingen – die internationale Ausrichtung der Plattform. Perspectivia.net trägt dieser Problematik Rechnung, indem sie die Publikationen der beteiligten internationalen Institute zwar in deren jeweiliger Sprache (Deutsch, Englisch, Russisch usw.) belässt, die diese Publikationen umgebende Plattformoberfläche aber mit einer mehrsprachigen Navigation versieht, so dass die Plattform weltweit nutzbar und auch über Suchmaschinen auffindbar ist, die in Moskau, Beirut oder London, also im jeweiligen Gastland der Auslandsinstitute, bedient werden.

Ein weiterer Mehrwert des elektronischen Publizierens betrifft ganz direkt die Nachwuchswissenschaftler. Deren oft auf sehr intensiven und grundlegenden Recherchen basierenden Arbeiten werden der Forschung meist erst in publizierten Dissertationen zugänglich. Eine frühzeitige Präsentation dieser Projekte und Forschungsansätze kann nicht nur die Fachdiskurse befruchten, sondern ermöglicht den Graduierenden überdies, zu einem sehr frühen Zeitpunkt an diesen Forschungsdiskussionen teilzuhaben. Online-Publikationsformate wie die discussions innerhalb von perspectivia.net bieten ein gut betreutes Forum für die aus Tagungen, Konferenzen, Workshops oder Blockveranstaltungen gewonnenen Ergebnisse. Darüber hinaus ist hier die Möglichkeit gegeben, sehr zeitnahen Einblick in die Werkstätten junger Gastwissenschaftler zu gewinnen.

Nicht zuletzt die hervorragende Resonanz bei den Autoren von Büchern, Aufsätzen und Rezensionen (exemplarisch sei einmal mehr auf das Pilotprojekt der Francia mit ihren mehr als 1.800 Autoren verwiesen) spricht eindrucksvoll für den inzwischen auch in den Geisteswissenschaften anerkannten Mehrwert einer online verfügbaren Publikation – sei es zusätzlich zur gedruckten Fassung (das sogenannte „Hybrid-Verfahren“), sei es als genuin online erscheinender Text. Es sei nochmals betont, wie entscheidend dieser Mehrwert einer digitalisierten Publikation vom Aufwand und Know-How abhängt, das in ihre technische Realisierung investiert wird. Der einfache Scan einer Arbeit ist wenig konkurrenzfähig mit ihrem gedruckten Pendant. Erfolgreiche Open-Access-Formate sollten nicht vor einer intensiven Planungs- und Vorbereitungszeit zurückscheuen, sich möglichst breit und mit internationalen Partnern aufstellen und sich vor allem Kooperationspartner mit einer technischen Infrastruktur suchen, die für Durchsuchbarkeit, Sacherschließung, Katalogeinbindung und für die Langzeitarchivierung der Texte sorgt, nicht zuletzt um langfristig das zu sichern, wovon Open Access lebt: das Interesse der Autoren, ihre wissenschaftlichen Ergebnisse barrierefrei ins Netz zu stellen. Es sind in erster Linie die großen Bibliotheken, die diese Infrastruktur während des letzten Jahrzehnts schrittweise aufgebaut haben. Die Bayerische Staatsbibliothek, die als starker Partner an der Seite von perspectivia.net steht, hat neben dem schon länger bestehenden Referat „Digitale Bibliothek“ im Frühjahr 2008 das „Zentrum für Elektronisches Publizieren“ (ZEP) gegründet, in welchem mehrere (und eine wachsende Zahl) ähnlich innovativer Projekte angesiedelt sind und das von den an der BSB bestehenden Workflows hinsichtlich des Digitalisierungsprozesses von Büchern erheblich profitiert.

Die Hürden zu Beginn

Nicht hinwegtäuschen soll diese durchaus positive Bilanz der ersten Projektphasen von perspectivia.net über zweifellos bestehende Hürden, die vor und während der Realisierung eines Projekts dieser Größenordnung genommen werden wollen. Zunächst ist im Falle von Retrodigitalisierungen, zumal ganzer wissenschaftlicher Reihen, die sich über Jahrzehnte etablieren konnten und ein traditionelles Abonnement-Publikum haben, viel Überzeugungsarbeit bei den Verlagen zu leisten, insbesondere wenn es um Monographien geht. Die Annahme, die Volltextverfügbarkeit eines gedruckten Werks lähme dessen Verkaufszahlenentwicklung, ist inzwischen zwar in der Praxis deutlich widerlegt, ja ins Gegenteil gekehrt worden. Als Ergebnis dessen ist der aktuelle Vorstoß von „Bloomsbury Academic“[Fn2] (www.bloomsburyacademic.com) zu betrachten, das Druck und Open Access geisteswissenschaftlicher Publikationen parallel laufen lässt, ohne eine sogenannte „moving wall“ (s.o.), einen festgelegten Abstand von zwei bis fünf Jahren zwischen Druck- und Online-Publikation eines Buchs, der von den meisten Verlagen gefordert wird. Grund für diese übliche „moving wall“ ist nicht allein die teils fortwährende Befürchtung von Verkaufsverlusten bei den gedruckten Büchern, sondern auch das zunehmende Engagement der Verlage, eigene – kostenpflichtige – Online-Angebote zu konzipieren. Allgemein scheint im Ausland die Experimentierfreudigkeit mit Open-Access-Konzepten im Verlagswesen stärker ausgeprägt als in Deutschland.

Dem entgegen steht das zunehmende wissenschaftspolitische Anliegen, die Ergebnisse öffentlich finanzierter Forschung allgemein zugänglich zu machen. Für Forschungsinstitute wie die deutschen historischen Institute im Ausland ergibt sich hieraus ein spürbarer Druck, ihre wissenschaftlichen Leistungen stärker transparent zu machen. Gerade die Open-Access-Zugänglichkeit ist hier von immenser Bedeutung und wird zunehmend auch von den großen Forschungsförderungsorganisationen (z.B. DFG, BMBF) erwartet.[Fn3]

Eine weitere Schwierigkeit besteht in der Tatsache, dass das Open-Access-Verfahren, im Speziellen die Retrodigitalisierung, sich mit Urheber- und Fotografenrechten hinsichtlich des in den Büchern enthaltenen Bildmaterials auseinandersetzen muss. Das ist ein im Augenblick noch höchst kompliziertes Unterfangen, da das bestehende Urheberrecht – weiterhin national ausgerichtet – noch weit entfernt davon ist, dem internationalen Charakter des Internets, geschweige denn dem unlimitierten Nutzerzugriff an sich Rechnung zu tragen, wie es etwa über weltweit anerkannte Pauschalvereinbarungen möglich wäre. Im Augenblick müssen, um ein Format wie perspectivia.net abzusichern, aufwendige Einzelabsprachen mit Pioniercharakter erarbeitet werden. Musterlösungen existieren nicht, auch weil vergleichbare Unternehmungen das Feld der Bildrechte durch die Auswahl bildfreier Publikationen gezielt umgehen, im Bewusstsein um die komplizierte Rechtslage, die nur sehr langsam auf praktikable Lösungen für diese Problematik zusteuert.

Als nicht weniger aufwendig stellt sich nun nach dem Online-Gang die Beantwortung der Frage nach einer Autorenvergütung durch die VG Wort dar. Natürlich erwartet ein Autor, der seinen Text online veröffentlicht (betroffen sind in diesem Punkt die genuin elektronischen Publikationen), am Jahresende dieselbe Vergütung, die er sonst für seine gedruckten Schriften von der Verwertungsgesellschaft erhält. Das derzeit angezeigte Verfahren der Zugriffszählung für Online-Texte aber birgt zwei grundsätzliche Probleme: Einen für eine Plattform der Größenordnung von perspectivia.net kaum zu leistenden Aufwand hinsichtlich der Betreuung des Verfahrensverlaufs und – was noch entscheidender ist – die geringe Aussicht auf eine tatsächliche Ausschüttung. Die Klickzahlen, die eine hochspezialisierte Dissertation erreichen muss, um in den Genuss einer Vergütung zu kommen, sind im Augenblick die gleichen, die für einen tausendfach angeklickten tagesaktuellen Artikel eines Zeitungsportals gelten. Doch ist hier ein Umbruch in Sicht: Es ist geplant, in absehbarer Zeit die Klickzahlen für wissenschaftliche Texte auf ein Niveau anzupassen, das realistischen „Rezeptionserwartungen“ entspricht – wenngleich, dies sei angemerkt, wieder lediglich in nationalen Grenzen, es zählen „Klicks aus Deutschland“. Zudem soll es ab 2010 ein automatisiertes, für Verlage und Plattformen leicht verwaltbares System geben. Bis es soweit ist, können Autoren wissenschaftlicher Online-Texte Gebrauch von den jährlichen Sonderausschüttungen der VG Wort machen, die unabhängig von Zugriffszahlen gewährt werden.

Fazit

Nicht zuletzt aufgrund dieser Problemfelder sei abschließend noch einmal betont, wie wichtig eine sorgfältige Planung und Aufwandskalkulation, wie wichtig auch eine intensive Netzwerkarbeit für groß angelegte Open-Acces-Projekte ist. Die Redaktion von perspectivia.net kann auf umfangreiche Erfahrungen im Bereich von Online-Angeboten für die Geschichtswissenschaften zurückgreifen – es sei hier nur auf die etablierten Formate historicum.net, die sehepunkte oder die zeitenblicke verwiesen. Konzeptionsbedingte Sackgassen und Umwege, Fehlplanungen bei personeller und finanzieller Aufwands- und Zeitplanung und die Neuschaffung von Kooperationskanälen konnten so umgangen werden. Von vornherein war man sich der Notwendigkeit einer Zusammenarbeit zwischen dem Wissenschaftler, dem klassischen Redakteur, dem versierten IT-Fachmann, dem Bibliothekar und dem Medienrechtsexperten für das Gelingen einer geisteswissenschaftlichen Open-Access-Plattform bewusst.

Fußnoten

[Fn 1] Vgl. die Ankündigung der vorliegenden LIBREAS-Ausgabe 14 „Open Access und Geisteswissenschaften“: http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=6062 (zurück)

[Fn 2] Vgl. auch das Beispiel des Münsteraner Verlagshauses Monsenstein und Vannerdat (dazu: Kamp, Britta: „Hybrides Publizieren und Verlage. Ein Standpunkt“, in: LIBREAS. Library Ideas, 13, S. 61–62, URN: nbn:de:kobv:11-10091644) oder das Oapen-Projekt (http://www.oapen.org/). (zurück)

[Fn 3] Siehe dazu das Grundlagenpapier, das im Juni 2008 unter dem Titel Schwerpunktinitiative „Digitale Information“ von den Allianz-Partnerorganisationen veröffentlicht wurde: http://www.mpdl.mpg.de/news/Allianz_Schwerpunktinitiati.pdf. Mitglieder dieser Allianz sind die Alexander von Humboldt Stiftung, der DAAD, die DFG, Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Hochschulrektorenkonferenz, Leibniz-Gemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft und der Wissenschaftsrat. (zurück)