> > > LIBREAS. Library Ideas # 20

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Interview zur Auflösung der IuK-Initiative Wissenschaft

Mit Staunen hat LIBREAS die Auflösung der IuK-Initiative Wissenschaft im September des vergangenen Jahres registriert. Der Hinweis darauf in der IWP lässt den Umfang der Gründe erahnen, wir wollten es genauer wissen und haben bei Luzian Weisel, Senior Information Analyst am FIZ Karlsruhe und Vizepräsident der DGI e.V. als Mitglied dieser Initiative genauer nachgefragt (Stand 31.12.2011).


Zitiervorschlag
Luzian Weisel, "Interview zur Auflösung der IuK-Initiative Wissenschaft. ". LIBREAS. Library Ideas, 20 ().


LIBREAS

Der Übergang in der Wissenschaftskommunikation von analogen zu digitalen Verfahren sowie die Ausdifferenzierung der digitalen Verfahren ist nach wie vor und womöglich stärker denn je das treibende Thema – vom digitalen Urheberrecht bis zum Medienwandel. Wieso scheitert eine Initiative auf dem Höhepunkt der Transformation? Wurde sie von der Entwicklung überrannt?

Luzian Weisel

Um diese beiden Fragen in einer komplexen Gemengelage beantworten zu können, möchte ich das Rad der IuK-Geschichte in Deutschland vorübergehend um 20 Jahre zurückdrehen. Dann verstehen wir vielleicht besser, warum es zur Entstehung der IuK-Initiative Wissenschaft kam und ob darin vielleicht schon früh der Keim zur Endlichkeit lag. Ob man dies als Scheitern benennen soll, dazu werde ich am Ende dieses Interviews Stellung beziehen.

Anfang der 1990er Jahre wurde die Zeit reif zur Gründung der IuK-Initiative Wissenschaften. Es dauerte jedoch noch etwa drei Jahre bis dies in 1994 offiziell geschah. Wir befanden uns in der Wissenschaftskommunikation in Deutschland damals in einer Phase, in welcher sowohl der Umgang mit, aber noch mehr der Zugang zu elektronischen Fachinformationsmittel für viele Studierende, Wissenschaftler, dem akademischen Mittelbau aber auch der Spitze der mancher Forschungseinrichtung ein Rätsel war. So bewegte sich die Datenübertragungsrate mit dem so genannten Akustikkoppler bei – aus heutiger Sicht – unvorstellbaren 30 Zeichen pro Sekunde, um sich in wenigen Monaten mittels „Modems” auf 1.200 Baud und noch höhere Werte zu steigern. Gleichzeitig sah das damalige Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) – als Vorläufer des heutigen BMBF – die Notwendigkeit, die elektronische Fachinformation an Hochschulen (und der Wirtschaft!) bekannt zu machen und die Nutzung durch Wissenschaftler sowie Studierende zu stimulieren: mit dem wissenschaftspolitischen Anspruch von „Innovation durch Information”. Dies übrigens durchaus gegen die Widerstände der klassischen Vorhalter des Wissens, den Bibliotheken, und auch gegenüber manchem Vertreter aus den Entscheidungsgremien in den Fakultäten aber auch wissenschaftlicher Fachgesellschaften. So sah der eine oder andere Lehrstuhlinhaber wenig Notwendigkeit, langjährige und erfolgreich geübte Verfahren des wissenschaftlichen Informierens und Publizierens neu zu denken und zu justieren, zumal, wenn der Antrieb aus dem Mittelbau kam. Aber ein Drittes kam hinzu: der dramatische Siegeszug des Internet, als Medium der wissenschaftlichen Kommunikation (z.B. via Email, Weblogs), der Information (Websites, Wikis) sowie der Kollaboration (e-Science).

In dieser Gemengelage und nach Ende der staatlichen Nutzungsförderung schlossen sich Vertreter der Wissenschaftler aus der Physik, Chemie, Mathematik und Informatik zusammen, um über den Stand, die Auswirkungen und die Maßnahmen im Sinne der in der nächsten Frage gestellten Ziele zu diskutieren. Wissenschaftler und Informationsfachleute bildeten den innovativen Kern in der nun folgenden hektischen Umbruchphase.

 

Die IuK-Initiative hat – so meine Überzeugung – die Entwicklungen zu ihrem Beginn, in der frühen Transformationsphase in Hochschule, der Wissenschaftslandschaft über die Disziplingrenzen hinweg wesentlich und erfolgreich vorangetrieben.

 

LIBREAS

Welche Ziele, die der IuK-Initiative als Impuls zugrunde lagen, wurden in der Zeit erreicht?

„Ziel der Kooperation ist es, a) auf lokaler Ebene die verstreut einsetzenden Initiativen einzelner Wissenschaftler zur Nutzung der neuen Informations- und Kommunikationstechniken in den Hochschulen zu unterstützen und zu bündeln, b) auf nationaler Ebene die Anliegen wissenschaftlicher Nutzer wie Autoren auf dem Wege zu einem digitalen Netzwerk von Informationsaustausch und Fachkommunikation zusammenzuführen und gegenüber forschungsfördernden Einrichtungen, Bibliotheken und Dokumentationszentren wie auch Verlagen und Medienanbietern zu vertreten, c) auf globaler Ebene Konzepte, Entwicklungen und Problemlösungen aus den vielfältigen internationalen Kontakten der einzelnen Fachgesellschaften zusammenzufassen und weiterzuvermitteln.”

Luzian Weisel

In ihrer großen Zeit von 1995 bis etwa 2003, hat die IuK-Initiative die hier skizzierten Ziele mit großem Engagement, mit wissenschaftspolitischer Sichtbarkeit und mit „Abstrahlungseffekten” auf weitere Disziplinen erreicht. Nicht zuletzt exponierten sich hier auch ausgezeichnete Vertreter der jeweiligen Disziplinen. Ich möchte hier Beispiel gebend den späteren Präsidenten der Deutschen Mathematiker Vereinigung, Prof. Martin Groetschel, nennen.

Beweis hierfür sind für mich die zweimal jährlich stattfindenden Tagungen. Das war einerseits die IuK-Jahrestagung mit jeweils richtungsweisenden neuen Themen und mit renommierten nationalen wie internationalen Referenten. Zu diesen Veranstaltungen kamen an unterschiedlichen Austragungsorten zunehmend mehr „IuK-Interessierte”: Bibliothekare, Informationsfachleute, Vertreter von Anbietern im Informationsmarkt und natürlich die Wissenschaftler, insbesondere aus dem Nachwuchsbereich. Letztere Klientel hatte es gelernt, mit den Neuen Medien der Information und Kommunikation umzugehen.

Da waren aber auch die jährlichen Herbsttreffen in Blaubeuren, zu Gast in der Tagungsstätte der Universität Tübingen in einsamer Umgebung auf der Schwäbischen Alb. Hier wurde in Workshops an thematischen Schwerpunkten Fortbildung betrieben aber auch heftig und fruchtbar gestritten. Ein weiterer Erfolg war zu Ende der 1990er Jahre der Beitritt zusätzlicher Fachgesellschaften der Erziehungs-, der Sozial-, Sport- oder der Wirtschaftswissenschaften. Ein gelungenes Beispiel für den Transfer der Kenntnisse heraus aus den Naturwissenschaften. Typische Themen waren hier das Aufkommen des Elektronischen Publizierens, von Metadaten und Klassifikation, von Open Access, der Urheberrechtsproblematik. Die Bedingung von guter wissenschaftlicher Praxis und des Einflusses des Internet auf das wissenschaftliche Arbeiten wurde betrachtet. Also Themen, die heute weiterhin heiß sind und für die es heute andere Formate gibt, beispielsweise das Urheberrechtsbündnis oder DINI. Dazu zähle ich aber auch die zahlreichen Verästelungen in wissenschaftlichen Communities im Social Media Bereich.

So kann die IuK-Initiative Wissenschaft mit einigem Recht behaupten, zu ihrem Höhepunkt die Interessen Ihrer Mitglieder in allen Fragen der Neuordnung des Informations- und Kommunikationswesens für die Wissenschaft vertreten zu haben. Zählt man die Zahl der vertretenen über einem Dutzend Fachverbände und -gruppen zusammen und summiert die Anzahl der Mitglieder dieser Vereinigungen (circa 150.000 Wissenschaftler) so ergibt sich formal ein einflussreiches „Gewicht” und eine hohe „Reichweite” für die Themen, Sichtweisen und Stellungnahmen der IuK-Initiative.

 

LIBREAS

Die Initiative sollte die Wissenschaftler „gegenüber forschungsfördernden Einrichtungen, Bibliotheken und Dokumentationszentren wie auch Verlagen und Medienanbietern […] vertreten”. Beispielsweise die Allianz der Wissenschaftsorganisationen gibt sich mittlerweile auch hinsichtlich der Übernahme bestimmter Ziele zur digitalen Kommunikationstechnologie als Vertreter der WissenschaftlerInnen. Ist das zureichend? Entstehen daraus eventuell neue Abhängigkeiten?

Luzian Weisel

Die IuK-Initiative hatte sich bei ihrer Gründung bewusst keine feste Organisationsform zum Beispiel als e.V. gegeben. Als informeller Zusammenschluss tankte sie Kraft bis weit in die Mitte des letzten Jahrzehnts und blieb unabhängig. Dies ganz im Gegensatz zu DINI e.V. In dieser Zeit verließen aber einige Mitglieder des Vorstandes die IuK-Initiative und schlossen sich DINI an. Sie sahen die Notwendigkeit der Vereinsgründung, um die mächtig gewachsene IuK-Initiative schlagkräftig zu erhalten. Ab dieser Zeit erhielt die Initiative herbe Schläge durch den Tod des langjährigen Sprechers Roland Schwänzl sowie von Max Stempfhuber im letzten Jahr. Damit sind der Initiative die wichtigsten Motoren abhanden gekommen.

Die Vereinsgründung im Jahr 2007 kam zu spät, wichtige Fachgesellschaften hatten zuvor bereits ihren Austritt erklärt.

Einige Versuche zur Belebung der Aktivitäten der IuK-Initiative in den letzten Jahren sind trotz intensiver Bemühungen fehlgeschlagen. Der IuK-Initiative ist es aus Vorstandssicht nicht gelungen, neue Themenfelder zu besetzen beziehungsweise vorhandene Aktivitäten weiterzuführen. Stellungnahmen zu aktuellen Themen zur Gestaltung der Information und Kommunikation in den Wissenschaften hat es in der letzten Zeit nicht gegeben, eigene Veranstaltungen wurden nicht durchgeführt. Der Kreis der in der IuK-Initiative Wissenschaft aktiven Personen hat sich in den letzten Jahren ständig verkleinert. Die IuK-Initiative wurde im Wesentlichen von Personen getragen, die aus Informationsinfrastruktureinrichtungen kommen und nicht aus der Wissenschaft selbst.

Die IuK-Initiative hat es in den letzten Jahren nicht verstanden, insbesondere gegenüber den Fachgesellschaften ihr Anliegen zu vertreten und diese in ihre Arbeit einzubeziehen.

 

Um Ihre Frage nun zu beantworten:

Ja, damit verlor die IuK-Initiative wesentlich an Attraktion als legitimierter Ansprechpartner der in der Fragestellung genannten Einrichtungen.

 

LIBREAS

Wer vertritt die Wissenschaftler und ihre Interessen nun? Gingen Teile der Bemühungen in anderen Initiativen auf? (Beispiel Urheberrechtsfragen: Das Aktionsbündnis Urheberrecht erklärt sich immer zum Sprecher der Wissenschaftler.)

Inwiefern sind Initiativen immer an bestimmte individuelle Akteure gebunden? Ist eine breitere interinstitutionelle Integration eines solchen Vorhabens nicht möglich?

Luzian Weisel

Mit dem Ende der IuK-Initiative fehlt die legitimierte Stimme der Wissenschaftler in den Veränderungsprozessen der Landschaft der Informationsinfrastruktur in Deutschland – im umfassenden Sinne – jenseits der Betrachtung einzelner Probleme wie der Urheberrechtsfragen. Ich bedaure dies ausdrücklich vor dem Hintergrund konkreter Beratungen sowie möglicher Entwicklungen in Verbindung mit den Überlegungen der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz Deutschlands.

Für den zweiten Teil möchte ich auf meine Antworten der dritten Frage verweisen.

 

LIBREAS

Welche Motivation trieb die Mitglieder stets für diese Initiative an? Gab es die angestrebte Rückkopplung?

Luzian Weisel

Motivation fanden die Mitglieder einerseits im unmittelbaren Erleben des permanenten Wandels ihrer Arbeitsumgebungen und dem „Betroffen sein” durch die Folgen, aber auch durch die Möglichkeit, den Fortschritt aktiv mitzugestalten. Eine weitere Motivation kam dadurch, dass sich die staatlichen Einrichtungen während der heißen Phase Mitte der 1990er Jahre aus der strukturbildenden Förderung zurückzogen, letztlich sogar in Einzelfällen Ideen und Entwicklungen der IuK-Initiative ablehnten. Das schweißt zusammen und macht erfinderisch! Im Jahr 2000 wurde die IuK-Initiative seitens des BMBF übrigens als wesentlicher und beratender Partner in den neu beginnenden Förderaktivitäten wahrgenommen.

 

LIBREAS

Wie sieht es mit den Möglichkeiten, diesbezüglich wenigstens eine koordinierende Stelle professionell/hauptamtlich besetzt zu erhalten? Wurde darüber nachgedacht? Wenn ja, was sprach dagegen?

Luzian Weisel

Ja, darüber ist diskutiert worden.

Die Gründe für das Misslingen habe ich bereits in meiner Antwort auf die dritte Frage dargelegt. So gelang es übrigens auch der DGI – als langjährigem aber nur assoziiertem Mitglied – nicht, die Mitglieder der IuK-Initiative davon zu überzeugen, den Anliegen der IuK-Initiative eine Zukunft als Fachgruppe der DGI zu geben. Damit wurde aus meiner Sicht eine Chance vergeben, die IuK-Initiative fachlich und organisatorisch neu auszurichten.

 

LIBREAS

Nach 17 Jahren IuK-Initiative Wissenschaft hat sich sicherlich ein engmaschiges Netz aus Beziehungen, Arbeitsstrukturen und ähnlichem gebildet. Was passiert mit dem als aktiv gekennzeichneten Projekt? Welche Verbindungen oder Strukturen bleiben bestehen? Welche Perspektiven ergeben sich nach der Auflösung der Initiative?

Luzian Weisel

Zahlreiche Engagierte der IuK-Initiative sind heute renommierte Wissenschaftler, Institutsleiter, Bibliotheksdirektoren oder in der Forschungsadministration ganz oben angekommen. Die damals aufgebauten Netzwerke und Vertrauensbeziehungen tragen. Insofern leben die Ideen und Vorschläge der IuK-Initiative weiter. Dazu trägt auch bei, dass die Website mit den Ergebnissen der IuK-Initiative und des Vereines weiterhin auf der Webseite www.iuk-initiative.org sichtbar bleiben werden, welche dankenswerterweise vom ZPID www.zpid.de in Trier gehostet wird.

 

LIBREAS

Würden Sie die Auflösung als Scheitern bezeichnen?

Luzian Weisel

Wenn eine Aktivität ihr Ziele erreicht hat oder wenn ihre Intentionen durch andere Initiativen in anderer Form, mit anderen Partner weitergeführt werden, in diesem Sinne ist die IuK-Initiative dann nicht gescheitert. Als Plattform des transdisziplinären Austausches und als kraftvolle, legitimierte Stimme der Wissenschaftler in den Veränderungsprozessen der Landschaft der Informationsinfrastruktur in Deutschland ist sie sicher gescheitert – wenn diese Stimme auch in den letzten Jahren kaum noch vernehmbar zu hören war.


Dr. Luzian Weisel, Dr.Senior Information Analyst in der Abteilung „Business Development” von FIZ Karlsruhe. Aufgabenschwerpunkte in der Geschäftsfeldentwicklung, der Competitive Intelligence, im Verbändemarketing sowie in der Förderung von Informationskompetenz für die Forschung. Ab März 2010 Mitglied der Arbeitsgruppe Informationskompetenz/Ausbildung der Kommission „Zukunft der Informationsinfrastruktur” (KII).Lehrseminare, Lehraufträge an Gymnasien, Berufsakademien, Fachhochschulen und der Humboldt-Universität zu Berlin zu Fragen des Informationsmanagements, Information Retrieval und der Förderung von Informationskompetenz. Seit 2007 aktiv als Juror und verantwortlich für das Kooperationsprojekt JufoBase, der Volltext-Datenbank der Preisträgerarbeiten der Stiftung Jugend forscht e.V. Ab dem Jahr 2000 Vorstandsmitglied und seit 2008 Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis (DGI e.V.). Ab Januar 2010 Leitung der Arbeitsgruppe Informationskompetenz von „Bibliothek&Information Deutschland”. Moderation der Arbeitsgruppe „Medienkompetenz-Informationskompetenz” im Rahmen der Initiative „Keine Bildung ohne Medien”. Langjähriges Mitglied der Kommission der Gemeinsamen Initiative der wissenschaftlichen Fachgesellschaften in Deutschland. Zahlreiche Moderationen, Teilnahmen an Diskussionsrunden und Pressekonferenzen, Vorträge auf Fachtagungen sowie Veröffentlichungen in Fachzeitschriften zu Themen der Informationspraxis.